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Flucht aus Yomitan nordwärts. Wenig Ressourcen. Der Krieg trifft beide Seiten.

“Flucht aus Yomitan nordwärts. Wenig Ressourcen. Der Krieg trifft beide Seiten.”
Hideaki Tamaki (87)
(Geburtsort: Tokeshi, Yomitan-son, Okinawa)

(Angriff auf Pearl Harbor)
Am 8. Dezember 1941 begann der Angriff auf Pearl Harbor. Unsere Lehrer erzählten uns, dass „ganz viele feindliche Kriegsschiffe versenkt wurden“ und ich war ganz begeistert, wie toll Japan sich schlägt. Die Lehrer rieten uns Jungs, ganz schnell Soldat zu werden und für das Vaterland zu kämpfen, denn je früher man Soldat werde, desto eher erhalte man einen hohen Rang und könne dann ganz viele Untergebene kommandieren. Ich war damals komplett überzeugt und voller Eifer, Soldat zu werden.
Im ersten Jahr der Mittelstufe, ich war etwa 13 Jahre alt, sagte uns unser Lehrer dann, wir sollen uns bei der Marine melden. Gesagt, getan: Ich schickte also mein Aufnahmegesuch an die Marine.
Im Rahmen des Auswahlverfahrens wurden Körpergröße und -gewicht gemessen und geschaut, ob sie den Aufnahmekriterien genügen. Beides war bei mir nicht ausreichend, weshalb ich nicht genommen wurde. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was wohl mit mir passiert wäre, wenn ich genommen worden wäre.
Ich dachte nicht eine Sekunde daran, dass ich sterben könnte.


(Luftangriff vom 10. Oktober)
Der Luftangriff vom 10. Oktober begann schon morgens vor 8 Uhr. Die amerikanischen Flieger bombardierten unseren Flugplatz in Yomitan, eine Bombe nach der anderen. Eine große Rauchwolke stieg auf. Ich wohnte zu der Zeit in der Ortschaft Tokeshi und dort gab es einen großen unterirdischen Luftschutzbunker, wo sich viele in Schutz bringen konnten. Ich beobachtete zwischendurch die Luftangriffe und deren Ausmaß, und sah, dass alle unsere Kriegsschiffe versenkt worden waren. Später erfuhr ich, dass die Stadt Naha komplett in der Feuersbrunst der Brandbomben aufgegangen sei. Daraufhin wurden wir alle ins Militär einberufen.
Wir hoben Panzergräben und Schützengräben aus und wurden für alle möglichen militärischen Aufgaben eingesetzt.
Die Schulgebäude wurden konfisziert und dienten als Unterkunft für die japanischen Truppen. Daher hatten wir keinen Unterricht mehr. Stattdessen hoben wir Luftschutzbunker aus.

 
Am 23. März 1945 begannen dann die Luftangriffe auf Okinawa, wo die Amerikaner an Land gehen wollten. Ich erinnere mich noch genau daran. Unsere Abschlussfeier in der Schule konnte wegen dem Bombardement nicht abgehalten werden und am nächsten Tag wurden auch auf umliegende Dörfer und Weiler Bomben abgeworfen. Ich hatte noch nie so viel Angst in meinem Leben. In meiner direkten Umgebung gingen Bomben nieder, explodierten mit einem gewaltigen Rumms, dann hörten wir Maschinengewehre. Selbst Bomben aus der weiten Ferne waren noch als Vibration zu spüren. Zuerst ein Aufblitzen, dann die Schallwellen. Die Explosionen waren noch sehr lange zu hören. Die Luftschutzbunker bröckelten.
Vom 23. bis zum Mittag des 25. hielten die Luftangriffe an. Mit einem Mal wurde es sehr still. Wir traten aus dem Luftschutzbunker hervor und blickten auf das Meer: Kriegsschiffe, Transportschiffe, Schlachtschiffe so weit das Auge reichte. Hätte man alle Schiffe aneinander gereiht, wäre man bis zu den Kerama-Inseln gekommen. Vor lauter Schiffen konnte man das Meer fast nicht mehr erkennen.


(Flucht Richtung Norden)
Wir erhielten die Nachricht: „Es werden alle Bürger aufgefordert, in den Norden zu evakuieren. In kurzer Zeit befinden wir uns hier in einer Kampfzone.“ Wir Menschen brachen in Chaos aus, Kinder weinten in den Bunkern. Auch alte Menschen waren da. Einige sagten, dass sie nicht mehr in den Norden laufen könnten und daher lieber hier sterben würden. Sie wollten nicht fliehen.
Wir allerdings brachen auf und wählten bei der Ortschaft Yamada die hügelige Landstraße in den Norden. Unterwegs trafen wir auf weitere Menschen, die aus dem Süden flohen. Alle schwiegen wir gemeinsam auf unserer Flucht. Wir begegneten auf dem Weg einem Trupp von etwa 30 japanischen Soldaten mit Gewehren, die auf dem Weg in den Süden waren. Es blieb aber der einzige Trupp, dem wir begegnen sollten.

(In der Evakuierungszone)
Doch auch dem Ort, an den sich meine Familie in Sicherheit gebracht hatte, näherten sich alsbald amerikanische Truppen von der Stadt Nago her. Wir mussten also weiter den Berg hinauf fliehen. Das muss am 7. oder 8. April gewesen sein. Auf dem Berg befanden sich kleinere Hütten, die wohl die Präfektur bauen ließ, damit die Menschen einen Zufluchtsort hatten. Doch es gab nicht genug Platz für alle, und viele blieben ohne Dach über dem Kopf. Wir konnten uns bei einer anderen Person miteinnisten, die ebenfalls wie wir zur Evakuierung aufgefordert worden war und einen Platz zugewiesen bekommen hatte. Die anderen schützten sich mit Blättern vor dem Regen oder fanden unter Felsen Zuschlupf.

 
Vorübergehend gab es einen Zeitraum, in dem einen die amerikanischen Soldaten in Ruhe gelassen haben, wenn man vom Acker Kartoffeln genommen hat. Bis auf einmal, plötzlich, ein Flüchtender von den Soldaten gefasst und im Dorf Haneji bei Taira ins Gefangenenlager gebracht wurde. Dieser kam zu uns anderen zurück und erzählte, dass es in dem Lager für jeden genug zu essen gäbe, und dass er gekommen sei, um seine Familie mitzunehmen. Die anderen Geflüchteten jedoch misstrauten ihm, nannten ihn einen Spion und einige Soldaten, die aus der verlorenen Schlacht im Süden zurückgekehrt waren, schrien, man solle ihn umbringen. Es war ein Riesenaufruhr, doch der arme Mann konnte sich retten, indem er sagte: „Ich bin kein Spion! Ich bin gar nichts. Mein Sohn kämpft an der Front im Süden, genau wie ihr alle. Und trotzdem wollt ihr mich jetzt töten?!“ Sie ließen ihn dann in Frieden.


Die japanischen Soldaten kamen auch einmal zum Haus, in dem wir untergekommen waren. Sie baten uns, ihnen von unserem Reis zu geben, da sie am nächsten Tag einen Angriff geplant hatten und zu Kräften kommen wollten. Aber in Wahrheit gab es gar keinen Angriff, sie hatten uns wohl angelogen.
Am 23. Juli 1945 haben wir unsere Unterkunft auf dem Berg wieder verlassen, nachdem amerikanische Soldaten uns auf hölzernem Japanisch zuriefen, dass sie uns nichts antun werden und alles in Ordnung sei.
Mir fiel es sehr schwer, das zu glauben, weil einem damals eingetrichtert worden war, dass die Amerikaner jeden töten, den sie erwischen. Dass sie die Frauen vergewaltigen und dann töten, und den Männern die Nasen und Ohren abschneiden und die Augen ausreißen. Manch einer sah es als das geringere Übel an, sich vorher selbst das Leben zu nehmen. Es soll wohl auch Gruppenselbstmorde gegeben haben.

(Abstieg vom Berg)
Doch als wir von unten am Berg die Nachricht erhielten, dass man nicht getötet werde, berieten wir uns und stiegen schließlich hinunter. Einer sagte noch: „Findet ihr es eine gute Idee, jetzt hier in die Arme des Feindes zu laufen, wo eure Kinder im Süden noch gegen sie kämpfen?“ Doch da wir wussten, dass die Menschen aus dem Nachbardorf nach ihrem Abstieg nicht getötet worden waren, hielten wir es für vertretbar, den Weg anzutreten. Unten angekommen, wurden keine Notrationen verteilt, wie es doch im Süden getan worden sein soll. Die Ressourcen haben den Weg wohl einfach nicht bis in den Norden überlebt.


(Wer auf dem Berg zurückblieb)
Nicht alle erhielten Nachricht davon, dass man vor den Amerikanern nichts zu befürchten hatte. Diese Leute blieben noch bis in den September hinein in den Bergen versteckt. Einige wurden wohl gefasst und abtransportiert, und sind trotzdem wieder geflohen und zurück in die Berge. Die dachten wohl auch, dass alles besser sei, als in Gefangenheit von den Amerikanern hingerichtet zu werden.

(Rückblickend auf den Krieg)
Unabhängig davon, ob man einen Krieg gewinnt oder verliert, beide Seiten erleiden großes Leid. Es gibt nichts Dankbareres als den Frieden. Egal, was passiert, Krieg darf nie eine Option sein. Krieg darf nicht sein.