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Der Krieg auf Saipan: Die Hölle auf Erden. So etwas tun Menschen aus Fleisch und Blut nicht.

„Der Krieg auf Saipan: Die Hölle auf Erden. So etwas tun Menschen aus Fleisch und Blut nicht.“
Hideo Iha (88)
(Geburtsort: As Lito, Minami-Mura, Insel Saipan)

(Beginn der US-Angriffe auf Saipan)
Ich hatte damals gerade das zweite Jahr der Sekundarstufe der Volksschule absolviert und war 15 Jahre alt. Auf Saipan gab es eine Berufsschule, eine von der Südseebehörde (Nan’yōchō) errichtete Sekundarschule.
Ich hatte die Aufnahmeprüfung hierfür erfolgreich abgelegt und mich gerade eingeschrieben. Schulbeginn war im April, der Krieg brach im Juni aus.
Am Tag des Luftangriffs war ich gerade mit meinen Freunden von der Berufsschule Saipan am Meer und wir schwammen an der Landungsbrücke. Als wir gerade im Wasser waren, ertönte der Fliegeralarm. Ich dachte erst, es wäre eine Übung, aber es waren wirklich amerikanische Grumman-Kampfflugzeuge. Wir bekamen Angst und flohen in ein Wäldchen aus Camambilarinde. An dem Tag lieferten sich die Grummans nur ein Luftgefecht mit den japanischen Jagdflugzeugen.
Als dann die Schlacht um Saipan losging, war es wirklich schrecklich. Ich hatte große Angst. Ich konnte auch sehen, wie der Flughafen getroffen wurde und brannte. Dutzende von amerikanischen Kriegsschiffen hatten die Insel umzingelt. Die Artillerieangriffe der Schiffe und die Bombardements dauerten meist den ganzen Tag an.

(Unser Schulalltag)
Damals erhielten wir schon in der Grundschule eine Militärausbildung. Als der Krieg sich zuspitzte, wurden alle Schulgebäude von der Armee requiriert. Stattdessen wurde der Unterricht dann im Wald unter Bäumen abgehalten. Man nannte das die „Waldschule“. Jeden Tag übten wir mit Bambusspeeren fechten und veranstalteten Wettrennen, um unsere Beine zu stärken. Nachdem ich in die Berufsschule kam, mussten wir auch helfen, die Fundamente für die Landebahnen des japanischen Militärflughafens zu planieren.

(Auf der Flucht)
Anfangs flohen wir vom Luftschutzraum unseres Hauses aus über den Berg Fina Sisu zur Laolao-Bucht. Wir liefen bis in die Nähe der Laolao-Bucht und von dort aus in eine Gegend namens Chacha. Der einzige etwas größere Berg der Insel heißt Mount Tapochau. Von dort aus ging es weiter nach Donni, dem einzigen Ort der Insel, wo Quellen entspringen. Über den Küstenort Banaderu flohen wir am Ende bis zum Cap Marpi, wo heute der Gedenkturm namens „Turm von Okinawa“ steht. So weit hatte man uns getrieben.
Wir aßen einen Monat lang fast nichts. Weil es sonst nichts zu essen gab, kauten wir Zuckerrohr oder das Mark von Papaya-Baumstämmen.
Auf der Flucht waren wir mit drei Familien zusammen unterwegs – der Familie von Tāba Kushi, der von Eihō Taira, meinem Onkel mütterlicherseits, und meinen Eltern, Kamarā und Kana Iha. Die Familie von Tāba Kushi kam nicht schnell genug mit und blieb unterwegs in einer Höhle zurück. Letztlich war es die einzige Familie, von der alle überlebten. Wie ich gehört habe, wurden sie einen Tag nach unserer Flucht von der US-Armee gefangen genommen.

(Tod meines Vaters und Kriegsgefangenschaft)
Unser Vater ist im Krieg gefallen. Eines Tages wurden wir nachmittags um zwei Uhr an einem Küstenstreifen namens Banaderu plötzlich von Schiffsartillerie beschossen. Mein Vater erlitt schwere Verletzungen im Gesicht und an der linken Flanke und verstarb aufgrund starker Blutungen. Wir wurden am nächsten Tag von feindlichen Soldaten umringt und festgenommen. Zwei oder drei Tage später fiel die Insel, denn die Japaner waren zuletzt an der äußersten Nordspitze eingekesselt worden.

(Im Kriegsgefangenenlager)
Im Lager mussten die Erwachsenen militärischen Arbeitsdienst leisten.
Die Kinder kamen in eine von der US-Militärregierung eingerichtete Schule. Kriegsgefangene, die Lehrer oder Beamte gewesen waren, gaben behelfsmäßigen Unterricht, der auf Japanisch mit Lehrbüchern des japanischen Kultusministeriums stattfand.

(Tragische Erlebnisse während des Krieges)
Ich habe Erinnerungen, die wie Albträume sind und die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. 
 Einem Erwachsenen hatte eine Granate die Beine abgetrennt und sie hingen in den Zweigen eines Baums, an dessen Fuße seine Leiche lag.
Ein anderer Vorfall trug sich eines Nachts zu, als wir unter einer Klippe Schutz gesucht hatten. Neben mir saß ein japanischer Soldat, wie ich dachte. Als die Sonne aufging sah ich jedoch, dass er sich mit dem Gewehrlauf an der Kehle das Leben genommen hatte.

Ich erinnere mich auch an ein enttäuschendes Erlebnis mit der japanischen Armee.
An einem Abend hatten sich unsere Familie und die der Tairas in einer großen Felsengrotte versteckt. Dann kam ein japanischer Offizier, richtete seine Pistole auf uns und sagte: „Diese Insel beschützen wir, die Armee. Zivilisten raus hier!“ Wir mussten die Höhle verlassen. Ich fand dieses Verhalten der Soldaten armselig.
Als wir an der Küste eingeschlossen waren, verbreiteten sich alle möglichen Gerüchte.
Wenn die Amerikaner uns gefangen nähmen, würden sie die Männer mit Stricken fesseln und mit dem Panzer überfahren. Frauen und Kinder würden alle auf Kriegsschiffen nach Amerika verschleppt. Wir dürften ihnen auf keinen Fall in die Hände fallen
Bei Banaderu warfen Eltern, die daran glaubten, ihre Kinder ins Meer. Dort am Strand wurde ich am nächsten Tag als Kriegsgefangener festgenommen. Ich sah die Leichen der Kinder, Soldaten und Zivilisten, die am Vortag ins Meer gesprungen und dort an Land getrieben waren.
Ich betrachtete die Amerikaner als Feinde, schließlich hatte ich in der Schule gelernt, dass Amerikaner und Engländer unmenschliche Bestien sind. Umso erstaunter war ich, dass wir im Lager zu essen bekamen, die Schule besuchen durften und es auch ein Krankenhaus gab.
In der Berufsschule war Englischunterricht vor dem Krieg vom Kultusministerium und der Armee verboten worden. Mein Englischlehrer hatte uns aber erklärt: „Egal ob wir den Krieg verlieren oder gewinnen, wir brauchen Fremdsprachen, um die Ausländer zu verstehen“ und uns heimlich hinter dem Rücken der Armee und des Kultusministeriums Englisch beigebracht. Wir lernten mit dem lateinischen Alphabet. Aus heutiger Sicht war dieser Englischlehrer, Herr Tajima, wirklich seiner Zeit voraus.
Dort, wo ich gefangen genommen wurde, stand 100 m weiter ein Wohnhaus, in dem sich ein japanischer Soldat versteckt hatte. Er wollte sich ergeben und kam daher in kurzen Hosen mit nacktem Oberkörper heraus, auf dem Kopf seine Infanteristenmütze. Er hatte die Hände erhoben, in der Absicht sich festnehmen zu lassen. Aber er hatte kein Glück: Die Amerikaner gingen auf ihn zu und erschossen ihn einfach. Auch solche furchtbaren Szenen habe ich gesehen.
In der Nähe gab es einen Bauernhof, der zusätzliche Lebensmittel für die Vertriebenen lieferte. Hier lebten auch Frauen und Kinder. Manchmal kam es anscheinend auch zu Vergewaltigungen.
(Als ich von der Kapitulation Japans hörte)
Ich war tief enttäuscht.
Wir hatten ja fest an den „Sieg“ geglaubt. Die Kinder hatten den Wunsch und den Traum, dass Japan früher oder später kommen und uns befreien würde.

(Zwangsumsiedlungen nach Okinawa)
Die Japaner wurden gezwungen, die Insel Saipan zu verlassen. Ein japanisches Küstenschutzschiff, eine Art kleiner Zerstörer, der entwaffnet worden war, brachte uns zum Hafen Kubasaki bei Nakagusuku im mittleren Teil der Hauptinsel[von Okinawa]. Die Überfahrt dauerte etwa drei oder vier Tage.
Wir blieben zwei oder drei Tage in Innumiyadui (Erstaufnahmelager für Vertriebene). Anschließend kamen wir in das Lager Ishikawa.

(Rückblickend auf den Krieg)
Ich würde diese Erfahrung als Hölle auf Erden bezeichnen. Menschen aus Fleisch und Blut sollten sich nicht bekriegen.
Aus meiner Sicht ist vor allem die seelische Bildung wichtig. Ich glaube, wir brauchen eine praktischere Bildung, die Menschen anhält, darüber nachzudenken, was jeder Einzelne tun kann, um echten Frieden zu schaffen.