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Meine Kriegserfahrung im Süden Okinawas

“Meine Kriegserfahrung im Süden Okinawas“
Tomio Kamizato (80)
(Geburtsort: Tsukazan, Haebaru-son, Okinawa)

Das erste Jahr der Grundschule habe ich noch komplett absolvieren können, aber nach 4 Monaten des zweiten Jahres wurde meine Schule, die Volksschule von Haebaru, zu einem Militärkrankenhaus umfunktioniert und der Unterricht fand nicht weiter statt.
In jedem Dorfteil gab es aber einen öffentlichen Raum, den wir Muraya nannten, so etwas wie ein Gemeindehaus. Wir versammelten uns dort und führten den Unterricht fort, allerdings nicht ordentlich, sondern mit Lehrern aus der jeweiligen Ortschaft.

Ich war in der dritten Klasse, als der Krieg begann. In unserem Schulbuch gab es auch die Textpassage „Soldaten, Soldaten, marsch, marsch!“ …
Ein wenig später sind dann Jagdflugzeuge in Dreierformation über die Bucht Nakagusuku her von Yonabaru aus weggeflogen. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, sind sie wahrscheinlich zum Flughafen in Naha geflogen.

Bevor wir einen richtigen, großen Luftschutzbunker bauen konnten, hoben wir eine Grube aus und bedeckten sie bloß mit Baumstämmen und Erde darüber. Wir versteckten uns hin und wieder in diesen Erdlöchern, und meine Brüder hatten dort auch Essen gelagert.
Jede Familie hatte so ein Erdloch vorbereitet, nur mit Baumstämmen und Erde bedeckt, mit Eingängen auf beiden Seiten.

Seit dem Luftangriff vom 10. Oktober, war auch das Meer ringsherum mit feindlichen Schiffen übersät.
Ich komme aus einer Familie mit 8 Kindern. Meine älteste Schwester, ihre beiden Kinder und meine drittälteste Schwester, sind in ein Haus in Miyazaki geflohen. Mein ältester Bruder wurde ins Militär einberufen und starb in an der Front auf der Insel Bougainville. Es blieben also noch ich, die zweitälteste Schwester, der zweit- und drittälteste Bruder und meine jüngere Schwester auf Okinawa zurück.

(Auf der Flucht)
Man sah hin und wieder von Schiffsgeschützen verwundete Leute weinend auf der Straße flüchten und dann in einem Militärbunker Schutz suchen.

Wir haben uns in einem selbstgebauten Erdloch versteckt, das war etwa 1,50 Meter breit und 5 Meter tief. Zu der Zeit regnete es besonders stark und es tropfte ständig von der Decke.

Nachdem die Stadt Shuri erobert worden war, kamen Soldaten in unsere Gegend, die in der Schlacht verwundet worden waren. Sie sagten: „Wir konnten nicht sterben und sind geflohen“. Einer hat sich nur auf seinen Händen kriechend dem Boden entlang geschleift, eine Woche lang.
Da machte das Gerücht die Runde, dass es in den Ortsteilen Yoza und Nakaza des Dorfs Gushikami noch sehr friedlich sei. Wir haben dann am 22., 23. Mai die Flucht angetreten. Das muss ungefähr derselbe Zeitraum gewesen sein, in dem auch die Himeyuri-Kompanie aus dem Bunker Koganemori in Richtung Süden floh.

Wir hatten in unserem Elternhaus auch Schweine gehalten, die wir dann aber geschlachtet und unter anderem zu Schmalz verarbeitet haben. Vielleicht hatte unser Vater geahnt, dass der Krieg länger dauern könnte, ich weiß es nicht genau, jedenfalls hat er das Schmalz in Dosen abgefüllt und meinen Brüdern aufgetragen, es auf die Flucht mitzunehmen. Auf Okinawa wachsen viele wilde Kräuter, die kann man in der Natur einfach pflücken und essen. Nicht so das Schweineschmalz.
Wir sind dann etwa um 10 Uhr in Nakaza angekommen. Zu dem Zeitpunkt warteten schon zwei Familien aus der Verwandtschaft dort. Weil aber auch Nakaza und Yoza gefährlich waren, sind wir nach Kuniyoshi weitergezogen.
In Kuniyoshi gab es einen Pferdestall, in dem wir uns untergestellt haben. Der wurde dann aber von Schiffsgeschützen getroffen und brannte ab, es war schrecklich. Zu der Zeit waren die Schiffsgeschütze von großem Kaliber. Wir fanden einen größeren Bunker, der vom Militär erbaut worden war, wo wir etwa einen halben Tag verbrachten.
Auf unserem weiteren Weg in die Stadt Itoman fanden wir einen weiteren großen Bunker. Dort lag ein älterer Mann, der den kaiserlichen Treuegruß an den Tenno-Kaiser mit seinen Armen und Händen formte. Ich weiß nicht, ob der Mann tot war oder lebte, aber das Bild habe ich noch klar vor Augen.

Abends trafen wir in der Ortschaft Maezato ein, aber dort war alles verwüstet. Es war wirklich ein Bildnis der Hölle. Es hat sich in meine Augen eingebrannt.

Jemand hatte von einem toten Pferd ein Bein abgetrennt und legte es übers Feuer. Wir waren aber zu eingeschüchtert und konnten nichts essen.
Wir blieben etwa zwei bis drei Tage an dem Ort.

Ein wenig später sahen wir, wie die Amerikaner auch in Maezato und Ishiki an Land gingen. Daher verließen wir an dem Abend den Bunker bei Ishiki und flohen weiter.

Auch im Ort Makabe lagen viele Tote herum. Es stank dermaßen, wenn man durch den Ort lief, dass man sich die Nase zuhalten musste. Als wir der Straße entlangliefen, lag dort eine Frau, die offenbar tödlich verwundet war. Neben ihr lag ein Baby und sie sagte zu uns: „Nehmt mein Baby!“. Aber es gab nichts, das wir hätten tun können.
 
Wir gelangten an einen Strand namens Odobama. Dort war es sehr ruhig. Durch wuchsen Adan-Schraubenbäume und Gebüsche. Wir fühlten uns sicher und legten eine Pause ein. Aber etwa um zehn Uhr wurden wir vom Meer aus von den Amerikanern beschossen. Es war diesmal aber kein Schiffsgeschütz, sondern ein kleineres Maschinengewehr, das auf uns schoss. Ich hörte das Geräusch „Peng, Peng, Bumm! Peng, Peng, Bumm!“.
Da wir an einem Sandstrand waren, versuchten wir dem Boden entlang zu kriechen, was wir etwa ab 10 Uhr morgens etwa zwei bis drei Stunden so fortführten.

Meine Mutter trug meine damals etwa sechs Jahre alte Schwester auf dem Arm und wollte gerade weiter, als sie von einer Kugel in die Seite getroffen wurde. Die Kugel traf auf der rechten Seite ein; ein Durchschuss, die Kugel kam in der Höhe vom Mund wieder heraus. Wenn Sie Wasser trank, gluckerte dieses wieder aus ihr heraus.
Meine Mutter starb noch vor Ort. Wir begruben Sie dort und steckten einen großen Ast in die Erde. Wie es uns unser Vater gelehrt hatte, beteten wir vor ihrem Grab „Bitte pass gut auf uns auf!“, und falteten die Hände zusammen.

An dem Abend erreichten wir die Ortschaft Komesu. Dort gingen wir in einen einfachen Bunker in der Erde, um uns zu verstecken, wo wir auf andere Leute aus unserer Heimatregion Tsukazan trafen.
Dort übernachteten wir eine Nacht und entschlossen uns, in unsere Heimat zurückzukehren. Wir wollten gerade den Bunker verlassen, als dort schon die Amerikaner auf uns warteten und, von oben ihre Waffen auf uns gerichtet, uns festnahmen.

Während der Festnahme wollte ein Soldat oder ein anderer Militärangehöriger, ich weiß nicht es nicht genau, fliehen. Die Amerikaner haben ihn auf der Stelle erschossen, er kam noch nicht einmal 50 Meter weit. Da habe ich festgestellt, dass ihre Waffen besser waren als unsere. Unsere Waffen schossen viel langsamer: „Peng, Peng“, tönten die. Die von den Amerikanern waren viel furchteinflößender: „Bam-bam-bam-bam“. Das ist mir stark geblieben.

Die Amerikaner haben uns dann alle aufgereiht. Eine Reihe mit den Kindern, mit erhobenen Händen, und eine Reihe mit denen, die aussahen wie Soldaten. Die waren bis auf die Unterhose ausgezogen worden.

Wir mussten dann zu Fuß bis nach Itoman laufen. Wir haben auch einmal einen Zwischenstopp eingelegt, um zu übernachten. In der Nacht hat uns das japanische Militär angegriffen, und am nächsten Tag waren alle in Festnahme geratenen japanischen Soldaten tot.

Am Sandstrand in der Nähe der heutigen Ort Nishizaki sind wir auf ein Amphibienfahrzeug aufgeladen worden. Wir waren zwei Haushalte, bestehend aus etwa zehn bis zwanzig Personen, und einige weitere Leute. Ein paar waren auch verletzt und wurden auf Bahren getragen.
Unser Schiff traf dann auf ein größeres Schiff und wir wurden umgeladen. Das war der Zeitpunkt, wo mir klar wurde, dass uns die Amerikaner nicht töten werden.

Am späten Nachmittag sind wir dann an einem Strand an Land gegangen und haben uns ausgeruht, bevor wir in einen US-Laster geladen und in den Ortsteil Goeku der Stadt Okinawa gefahren wurden. Dort gab es ein Gefangenenlager, in das sie uns brachten. Das war der Beginn meines Lagerlebens.

(Die Zeit im Lager)
Es gab im Lager nur Reisbrei zu essen. Es gab aber kein Geschirr, daher haben die Amerikaner leere Konserven in einer großen Tonne aufgeheizt, bis sie schwarz wurden. In diese schwarzgebrannten Konservendosen haben wir dann unseren Reisbrei geleert und ihn daraus gegessen, daran erinnere ich mich noch gut.

Auf einem kleinen Hügel in der Nähe von unserem Gefangenenlager gab es einen Stützpunkt der US-Militärpolizei. Das japanische Militär hat diesen Stützpunkt dann anscheinend angegriffen. Als ich am nächsten Tag raus ging, sah ich einige Leute, die von japanischen Schwertern zerstochen worden waren. Manch einem wurde der Kopf abgeschnitten und es lag ein verbogenes Schwert auf dem Boden. Einige der besiegten japanischen Soldaten sollen noch in der Nähe gewesen sein.

Unter all diesen Umständen fand in Awase mein erster Schulunterricht unter freiem Himmel statt, unter einem Baum. Ich war zwar eigentlich schon in der dritten Klasse, aber trotzdem mussten wir immer wieder das amerikanische ABC üben.
Zum Schreiben nahmen wir Papierzettel, die von den Amerikanern als Müll über die Küstenklippe geworfen worden war. Wir sammelten die Zettel und machten daraus einen Block.

(Das Schwierigste damals)
Der schwierigste und traurigste Moment für mich was sicherlich der Tod meiner Mutter.
Ich habe an dem Tag ununterbrochen geweint. Auch als wir im Bunker von Komesu angekommen waren, weinten ich und meine kleine Schwester die ganze Zeit und riefen nach unserer Mama. Auch im Schlaf sollten wir noch nach ihr gemurmelt haben, so hat es mir mein älterer Bruder später erzählt.

(Rückblickend auf den Krieg)
Es darf niemals zum Krieg kommen. Menschen werden zu Bestien.
Damit wir die Erinnerungen daran nicht verlieren, sollte man über die Kriegserfahrung sprechen, solange man kann. Daher habe ich mich auch sofort gemeldet, als sie für die Schule Leute gesucht haben, die ihre Erinnerungen an den Krieg teilen wollten.

Mir fällt da noch eine Anekdote ein. Wenn im Versteck ein Baby zu schreien begann, wurde es oft mit der nassen Windel erstickt. Man hatte Angst, dass die Amerikaner kommen und manch einer entschied sich, sich lieber selber jetzt schon das Leben zu nehmen, indem er über die Klippen gesprungen ist. Ich kenne jemanden, der von seinen Eltern zusammen mit seiner Schwester mit einem Seil erwürgt werden sollte. Seine Schwester soll daran erstickt und gestorben sein, aber er überlebte, mit Seilnarben am Hals.

Der Krieg ist etwas sehr Grausames.