Erinnerungen an Graugesichtsbussarde und Krakenfallen
Herr Keikichi Yamazato
Geburtsjahr:1943
Geburtsort:Miyako-jima
Über die Familie in der Kriegszeit und meine Narbe
Ich wurde 1943 in Nikadori auf der Insel Miyako-jima geboren. Mein Vater war ein Bauer, aber die Leute in unserer Gemeinde nannten ihn „Sensei“. Das kam mit merkwürdig vor, da er ja kein Lehrer oder Arzt war. Ich fragte im Dorf nach und erhielt zur Antwort, dass er sich sehr nützlich für die Gemeinde gemacht hat, er eines der Vorstandsmitglieder des Gemeinderats war und als Verwalter für unsere Gemeinde fungierte.
Um die Zeit des großen Luftangriffs vom 10.Oktober 1944 war ich noch klein und habe keine Erinnerungen, aber ich weiss noch das ich verletzt wurde. Ich wurde von der Kugel eines Maschinengewehrs gestreift. Unser Haus wurde zweimal vom Streufeuer der amerikanischen Flieger getroffen. Die US-Armee hatte damals den Befehl, auf alles zu schiessen, was sich bewegt. In der Nähe unseres Hauses befand sich ein Hügel. Während des Angriffs, befand sich irgendjemand dort und die Jagdflieger schossen auf ihn. Dabei schlugen zwei Kugeln in unser Haus ein. Eine der Kugel durchschlug die Regentür und streifte mich. Die zweite Kugel traf unseren Ahnenaltar. Eine dritte Kugel schlug in den Holzschuppen ein. Meine Eltern erzählten mir, dass sich im Bunker vom Nikadori japanisches Armeepersonal befand und sie mich dort hin brachten. Obwohl es normalerweise keine Versorgung für Zivilisten gab, haben sie meine Wunde behandelt. Seit dem habe ich diese Narbe. Die Kugel aus dem Maschinengewehr streifte meinen Arm und verletzte mich auch am Rücken. Ich war noch ein kleines Kind und schlief im Hauptraum des Hauses, als die Kugel mich streifte. Ich soll zu schreien und zu weinen angefangen haben. Meine Familie war im Esszimmer beim Mittagessen und hatte sich beim Lärm des Kugelhagels in Deckung gebracht. Wenn ich darüber nachdenke, gab es da nicht wirklich einen Platz um sich zu verstecken, aber irgendwie schafften sie es unversehrt zu bleiben. Ich war der einzige, der an drei Stellen am Arm und am Rücken getroffen wurde. Ich überlebte wohl nur, weil die Kugel meine Wirbelsäule verfehlte. Ich hatte viel Glück in dem Moment.
Ich habe keine Erinnerungen an die Luftangriffe auf Miyako-jima. Mein Vater und die anderen mussten arbeiten, um die Krater zu füllen, die von den abgeworfenen Bomben der US-Flieger in den Landebahnen hinterlassen waren. Die rostigen Überreste eines Panzers der japanischen Armee wurden nach Kriegsende am Strand zurückgelassen, offenbar von einem der US-Angriffe getroffen.
Erinnerungen an die Bussarde und die Krakenfalle
In meiner Kindheit haben wir fast ausschliesslich Süßkartoffeln gegessen. Da es nichts anderes gab, pflückten wir wilde Gräser, ähnlich wie Frühlingszwiebeln und taten sie in unsere Suppe. Wir aßen Guava und Maulbeeren, fingen Zikaden, Heuschrecken und Eidechsen, um sie zu essen. Sashiba waren eine Delikatesse. Die Graugesichts-Bussarde sind heute eine geschützte Vogelart, aber das waren sie noch nicht während meiner Schulzeit.
Einmal bin ich alleine in die Berge gegangen und habe Zwei auf einmal gefangen, was ist mir aber nicht noch einmal gelungen ist. Ich habe sie mit bloßen Händen gefangen. Es war Nacht und dunkel, aber im Schimmer der Lichter der Stadt konnte ich einen erspähen. Ich kletterte vorsichtig auf den Baum hinauf, um ihn zu fangen, aber bei meinem ersten Versuch erwischte ich nur ein Bein und der Bussard krallte das andere Bein in meinen Arm. Es war ein wichtiger Fang, deshalb liess ich ihn auf keinen Fall entkommen. Beim zweiten Bussard lief es besser und es gelang mir beide Beine zu fassen. Es war das erste und letzte Mal, das ich Sashiba fangen konnte. Eine Woche lang wurden die Vögel für mich zu einer Art Spielzeug, und ich ließ sie mit einem Seil, das an den Beinen befestigt war, herumfliegen. Als sie nach etwa einer Woche ihre ganze Energie verbraucht hatten, kochten wir sie in der Suppe und aßen sie zusammen mit Reis. Das gelbe Fett der Vögel schwamm oben auf der Brühe und sie schmeckte köstlich. Ich zog immer wieder los und versuchte Sashiba zu fangen.
Es gab Kiefernhaine entlang der Küste, in der Nähe unseres Hauses. Dort befanden sich viele Gräber und es war sehr unheimlich. Es gab auch kein Licht in der Nähe. Die Bussarde flogen normalerweise vom Meer her ein. Ich entfernte mich einige Meter von meinen Freunden und kletterte auf einen Baum. Ich wartete dort, aber weil sich kein Bussard näherte, machte ich mich auf den Rückweg. Als ich mich umdrehte fiel ich vom Baum. Ich fiel direkt in einen „Ein Mann Bunker“. Wir nannten diese Sorte Bunker aus der Kriegszeit „ Krakenfallen“. Ich dachte ich wär erledigt, aber ich schaffte es herauszuklettern. Er war nur Brusttief, aber wäre etwas tiefer gewesen, hätte ich es in der pechschwarzen Nacht wohl nicht heraus geschafft.
Miyako-jima zu meiner Jugend
Ich war oft am Ufer und habe Fische gefangen. Wenn ich mit meinen Freunden loszog, um Futter für die Ziegen zu schneiden, nahmen wir immer unsere Schwimmbrillen mit. Wir nannten sie damals „Itoman-Brillen“. Sobald wir das Geräusch einer Explosion hörten, rannten wir zum Ufer in der Nähe der Explosion. An Land waren tote und lebende Fische angeschwemmt. Wir sammelten auf, was die Fischer zurück gelassen hatten und nahmen es zum Essen mit nachhause. Stachelmakrelen wurden immer am häufigsten am Strand angeschwemmt. Die Fischer benutzten selbstgebaute Granaten. Sie nahmen das Schiesspulver aus der Munition und füllten es in eine Flasche. Diese selbstgebauten Granaten warfen sie ins Meer. Es gab runde und viereckige Sprengkapseln. Es lag damals jede Menge Munition an der Küste herum. Die Leute sammelten überall in der Gegend Altmetall. Es gab einen sogenannten „Schrott-Boom“ auf der gesamten Insel. Wir waren noch kleine Kinder und um etwas Taschengeld zu verdienen, sammelten wir Eisenstücke, die wir fanden auf. Es gab damals Händler, die alles Altmetall aufkauften. Dorthin brachten wir unseren aufgelesenen Schrott und verkauften ihn. Auf diese Weise, haben wir uns ein kleines Taschengeld verdient. Das hat wirklich am meisten Spaß gemacht.
Ich wuchs in einer großen Familie auf und war der sechste und jüngste Sohn. Zum Frühstück gab es zwei Packungen Somen-Nudeln. Sie schwammen in einem Kessel mit Wassersuppe. Es herrschte das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, deswegen saß ich immer direkt neben dem Kessel. Wir hatten auch Spinatdosen, aus den Verpflegungsrationen der US-Armee. Als ich noch sehr klein war, lief in der Nähe des Higashi-Henna-Zaki Kaps ein mit Reis beladenes Schiff auf Grund. Ein Schiff, das zur Bergung auslief kenterte ebenfalls. Reis war damals unbezahlbar und viele Leute zogen los, um den Reis aus dem Schiffswrack zu bergen.
Auf Miyako-jima herrschte damals Wassermangel. Auf den Feldern versuchten wir Regenwasser aufzufangen, aber es gab einfach nicht genug Wasser. Manchmal blieb uns nichts anderes, als das Wasser aus den Rinnen zu schöpfen, welche die Pferdekutschen mit ihren Rädern hinterlassen hatten. Ich schöpfte es mit beiden Händen und dachte bei mir, dass es besser ist als nicht zu trinken. Ich wurde nicht einmal krank davon. Ich glaube, wir Kinder von damals waren einfach robuster.
Spülwürmer und Entwurmung
Als ich ein Kind war, schlachtete jeder Haushalt zu besonderen Anlässen, wie Neujahr oder Geburtstage, ein Schwein im Hinterhof. Wenn wir die Schweine zerlegten, fanden wir winzige weiße Eier im Fleisch. Das waren die Eier von Spulwürmern. Wir glaubten damals, dass die Würmer absterben würden, und haben das Fleisch trotzdem gegessen. Leute von der Amerikanischen Zivilregierung zeigten im Ryukyu-American Kulturzentrum von Miyako einen Film, der über die Gefahren von Spulwürmern informierte. Eines Tages, auf dem Heimweg vom Meer, ich rannte gerade, um mich zu trocknen. gingen wir am Utaki (heilige Stätte) vorbei. Üblicherweise versammelten sich hier immer die alten Frauen zum Gebet. Mein Freund nahm ein heruntergefallenes Räucherstäbchen und tat so als ob er Rauchen würde. Plötzlich kroch ihm ein Spülwurm aus der Nase. Darüber habe ich mich riesig erschrocken. Um die Würmer in unserem Körper abzutöten, wurde in den Schulen Seetang benutzt. Ich erinnere mich nicht mehr an den Namen, Wir mussten eine Brühe aus den Algen trinken. Mit diesem Getränk aus Algen wurden wir entwurmt. Als Belohnung erhielten wir Sakuma Drops, die waren sehr lecker. Es war das erste Mal, das ich so etwas wie einen Bonbon lutschte. Wir bekamen die süßen Drops, weil der Algentrunk so bitter war.
Schulleben in jenen Tagen
Meine Schule war eine Hütte mit Strohdach, keinen Fussboden nur blanker Boden. Liefen wir auf dem Boden, wirbelte der Staub auf. Nur niedrige Wände trennten die Klassen voneinander. Wir waren drei Klassen in der Schule. Manchmal spielten wir auf dem Müllplatz und klaubten Papierschnipsel auf, wickelten den Dreck und die Erde vom Boden hinein, warfen sie in die Nachbarklassen und lieferten uns eine Papierschnitzelschlacht. Als Resultat waren unsere Tische und Stühle mit Müll und Sand bedeckt. So was haben wir sehr oft gemacht.
Während meiner Grundschulzeit befiel ein Virus die Zuckerrohrfelder und Gemüsefarmen. Auch die Schulen beteiligten sich an der Bekämpfung. Unsere Lehrer nahmen uns mit auf die Felder und wir kratzten den weißen Belag von den Blättern oder schnitten sie ganz ab.
Nach der Grundschule besuchte ich die Hirara Junior High School. Ich erinnere mich nicht mehr, ob es ursprünglich ein stabiles Gebäude gewesen war, aber das Schulgebäude war durch einen Taifun stark beschädigt worden. Wir wurden in zwei Gruppen aufgeteilt und hatten Vormittags- und Nachmittagsunterricht. Das dauerte an, bis das neue Schulgebäude endlich fertiggestellt war.
Ich ging danach auf eine Oberschule für Land- und Forstwirtschaft. Ich habe aber keine Ahnung von der Landwirtschaft. Wir machten unseren Kompost selber in der Schule. Der Schulgarten selbst befand sich in der Nähe der Schule, aber die Schulfarm Nr.2 war in der Nähe des Flughafens. Dorthin brachten wir den Kompost. Es war eine große Farm von etwa 18 Hektar. Wir bauten hauptsächlich Zuckerrohr an.Während der Erntezeit ging ich ohne Lunchpaket dorthin und aß das Zuckerrohr, das wir ernteten.
Arbeit für eine Hafen Company nach der Oberschule.
Nach meinem Abschluss lebte ich ein Jahr lang in der Nähe meines Heimatortes, aber so konnte es nicht ewig weitergehen. Ich überlegte mir einen Beruf zu erlernen, der mich weiterbringen würde. Wir waren immer noch unter amerikanischer Besatzung und ich wollte einen Beruf machen, bei dem man eine englische Schreibmaschine benutzt. Zu dieser Zeit bot der Hinterbliebenen Verband Okinawas in Naha Schreibmaschinen Kurse an und unterrichtete in einer Art Lernzentrum. Jeder, der einen Angehörigen im Krieg verloren hatte, konnte daran teilnehmen. Ich bat meinen Vater um Erlaubnis und ging nach Nahe um Schreibmaschine zu lernen. Das Schreibmaschine schreiben war sehr nützlich für meinen späteren Berufsweg.
Ich fing bei einer Firma im Hafen von Naha an zu arbeiten. Alle notwendigen Unterlagen, Zollerklärungen und ähnliches mussten in englischer Ausfertigung vorgelegt werden. Waren die nach Japan gingen, wurden wie ausländische Fracht behandelt und brauchten eine Zollerklärung. Dazu musste ein Schiffsladeschein für die Bank ausfertigt werden. Für diese Papiere erwiesen sich meine Schreibmaschinenkenntnisse als sehr nützlich. Egal wie klein eine Fracht war, alle Schiffe, die zum Festland fuhren, mussten sich beim Zoll eine Genehmigung einholen. Okinawa war von den Zöllen angenommen und es gab Leute, die damit Geld verdienten. Da man damals drei Flaschen Whisky ohne Einfuhrsteuer, von Okinawa aufs Festland mitnehmen durfte, nahmen sie den Whisky mit und verkauften ihn zu einem hohen Preis in Japan. Laut einigen Schiffsbesatzungen, soll es Leute gegeben haben, die mit dem Verkauf von Whisky soviel Geld gespart haben, dass sie sich ein Haus bauen konnten.
Das schwierigste an meiner Arbeit, war das Umladen der Fracht. Es mussten viele Waren von einem Schiff auf ein anders Schiff geladen werden. Wir hatten Schiffe aus Yaeyama oder Miyako, die hochwertigen Leinenstoff geladen hatten Die Ladung musste auf Schiffe nach Osaka umgeladen werden. Manchmal kamen die Zollpapiere nicht rechtzeitig an oder wegen eines Fehlers der zuständigen Person, konnten wir die Ware nicht verladen. Das konnte zu ziemlich großen Problemen führen. Besonders der Leinenstoff aus Miyako, war ein Luxusartikel und kostete 300.000 Yen der Ballen oder 3 Millionen Yen die Kiste. Pannen beim Umladen konnten dazu führen, dass die Fracht bis zu einer Woche liegen blieb. Die Amerikaner fuhren oft nach Taiwan, brachten taiwanische Möbel mit nach Okinawa. Sie kamen zu uns, den Firmen am Hafen wegen der Zollabfertigung. Sie fragten wie man die Sachen durch den Zoll bekommt, aber es war nicht so einfach, weil diese Sachen anders gehandhabt wurden als normale Fracht. Ich gab mein Bestes, um ihre alles in meinen nicht besonders guten Englisch zu erklären.
Meine Botschaft an die jungen Leute
Wir leben heute in einem Zeitalter des Überflusses. Als ich jung war, alles was wir zu essen hatten war Reis und Nudelsuppe. Nudelsuppe heißt auch wirklich nur ein paar Nudel in der Suppe. Ich mache mir Sorgen, ob die Kinder von heute überhaupt überleben könnten, wenn die Versorgung mit Lebensmitteln plötzlich aufhören würde. Ich denke, es ist wichtig, in den Schulen über die Lebensmittelknappheit während und nach dem Krieg zu unterrichten, damit die Kinder lernen, wie wichtig die Lebensmittel sind, die sie haben.
Herr Keikichi Yamazato verbrachte seine Kindheit in Miyako-jima und ging nach Abschluss der Oberschule nach Okinawa. Dort arbeitete er bei einer Reederei im Hafen von Naha. Von der Nachkriegszeit über die US-Besatzung bis zu seiner Pension arbeite er viele Jahre bei der Logistik des Schifftransportes.
Über die Familie in der Kriegszeit und meine Narbe
Ich wurde 1943 in Nikadori auf der Insel Miyako-jima geboren. Mein Vater war ein Bauer, aber die Leute in unserer Gemeinde nannten ihn „Sensei“. Das kam mit merkwürdig vor, da er ja kein Lehrer oder Arzt war. Ich fragte im Dorf nach und erhielt zur Antwort, dass er sich sehr nützlich für die Gemeinde gemacht hat, er eines der Vorstandsmitglieder des Gemeinderats war und als Verwalter für unsere Gemeinde fungierte.
Um die Zeit des großen Luftangriffs vom 10.Oktober 1944 war ich noch klein und habe keine Erinnerungen, aber ich weiss noch das ich verletzt wurde. Ich wurde von der Kugel eines Maschinengewehrs gestreift. Unser Haus wurde zweimal vom Streufeuer der amerikanischen Flieger getroffen. Die US-Armee hatte damals den Befehl, auf alles zu schiessen, was sich bewegt. In der Nähe unseres Hauses befand sich ein Hügel. Während des Angriffs, befand sich irgendjemand dort und die Jagdflieger schossen auf ihn. Dabei schlugen zwei Kugeln in unser Haus ein. Eine der Kugel durchschlug die Regentür und streifte mich. Die zweite Kugel traf unseren Ahnenaltar. Eine dritte Kugel schlug in den Holzschuppen ein. Meine Eltern erzählten mir, dass sich im Bunker vom Nikadori japanisches Armeepersonal befand und sie mich dort hin brachten. Obwohl es normalerweise keine Versorgung für Zivilisten gab, haben sie meine Wunde behandelt. Seit dem habe ich diese Narbe. Die Kugel aus dem Maschinengewehr streifte meinen Arm und verletzte mich auch am Rücken. Ich war noch ein kleines Kind und schlief im Hauptraum des Hauses, als die Kugel mich streifte. Ich soll zu schreien und zu weinen angefangen haben. Meine Familie war im Esszimmer beim Mittagessen und hatte sich beim Lärm des Kugelhagels in Deckung gebracht. Wenn ich darüber nachdenke, gab es da nicht wirklich einen Platz um sich zu verstecken, aber irgendwie schafften sie es unversehrt zu bleiben. Ich war der einzige, der an drei Stellen am Arm und am Rücken getroffen wurde. Ich überlebte wohl nur, weil die Kugel meine Wirbelsäule verfehlte. Ich hatte viel Glück in dem Moment.
Ich habe keine Erinnerungen an die Luftangriffe auf Miyako-jima. Mein Vater und die anderen mussten arbeiten, um die Krater zu füllen, die von den abgeworfenen Bomben der US-Flieger in den Landebahnen hinterlassen waren. Die rostigen Überreste eines Panzers der japanischen Armee wurden nach Kriegsende am Strand zurückgelassen, offenbar von einem der US-Angriffe getroffen.
Erinnerungen an die Bussarde und die Krakenfalle
In meiner Kindheit haben wir fast ausschliesslich Süßkartoffeln gegessen. Da es nichts anderes gab, pflückten wir wilde Gräser, ähnlich wie Frühlingszwiebeln und taten sie in unsere Suppe. Wir aßen Guava und Maulbeeren, fingen Zikaden, Heuschrecken und Eidechsen, um sie zu essen. Sashiba waren eine Delikatesse. Die Graugesichts-Bussarde sind heute eine geschützte Vogelart, aber das waren sie noch nicht während meiner Schulzeit.
Einmal bin ich alleine in die Berge gegangen und habe Zwei auf einmal gefangen, was ist mir aber nicht noch einmal gelungen ist. Ich habe sie mit bloßen Händen gefangen. Es war Nacht und dunkel, aber im Schimmer der Lichter der Stadt konnte ich einen erspähen. Ich kletterte vorsichtig auf den Baum hinauf, um ihn zu fangen, aber bei meinem ersten Versuch erwischte ich nur ein Bein und der Bussard krallte das andere Bein in meinen Arm. Es war ein wichtiger Fang, deshalb liess ich ihn auf keinen Fall entkommen. Beim zweiten Bussard lief es besser und es gelang mir beide Beine zu fassen. Es war das erste und letzte Mal, das ich Sashiba fangen konnte. Eine Woche lang wurden die Vögel für mich zu einer Art Spielzeug, und ich ließ sie mit einem Seil, das an den Beinen befestigt war, herumfliegen. Als sie nach etwa einer Woche ihre ganze Energie verbraucht hatten, kochten wir sie in der Suppe und aßen sie zusammen mit Reis. Das gelbe Fett der Vögel schwamm oben auf der Brühe und sie schmeckte köstlich. Ich zog immer wieder los und versuchte Sashiba zu fangen.
Es gab Kiefernhaine entlang der Küste, in der Nähe unseres Hauses. Dort befanden sich viele Gräber und es war sehr unheimlich. Es gab auch kein Licht in der Nähe. Die Bussarde flogen normalerweise vom Meer her ein. Ich entfernte mich einige Meter von meinen Freunden und kletterte auf einen Baum. Ich wartete dort, aber weil sich kein Bussard näherte, machte ich mich auf den Rückweg. Als ich mich umdrehte fiel ich vom Baum. Ich fiel direkt in einen „Ein Mann Bunker“. Wir nannten diese Sorte Bunker aus der Kriegszeit „ Krakenfallen“. Ich dachte ich wär erledigt, aber ich schaffte es herauszuklettern. Er war nur Brusttief, aber wäre etwas tiefer gewesen, hätte ich es in der pechschwarzen Nacht wohl nicht heraus geschafft.
Miyako-jima zu meiner Jugend
Ich war oft am Ufer und habe Fische gefangen. Wenn ich mit meinen Freunden loszog, um Futter für die Ziegen zu schneiden, nahmen wir immer unsere Schwimmbrillen mit. Wir nannten sie damals „Itoman-Brillen“. Sobald wir das Geräusch einer Explosion hörten, rannten wir zum Ufer in der Nähe der Explosion. An Land waren tote und lebende Fische angeschwemmt. Wir sammelten auf, was die Fischer zurück gelassen hatten und nahmen es zum Essen mit nachhause. Stachelmakrelen wurden immer am häufigsten am Strand angeschwemmt. Die Fischer benutzten selbstgebaute Granaten. Sie nahmen das Schiesspulver aus der Munition und füllten es in eine Flasche. Diese selbstgebauten Granaten warfen sie ins Meer. Es gab runde und viereckige Sprengkapseln. Es lag damals jede Menge Munition an der Küste herum. Die Leute sammelten überall in der Gegend Altmetall. Es gab einen sogenannten „Schrott-Boom“ auf der gesamten Insel. Wir waren noch kleine Kinder und um etwas Taschengeld zu verdienen, sammelten wir Eisenstücke, die wir fanden auf. Es gab damals Händler, die alles Altmetall aufkauften. Dorthin brachten wir unseren aufgelesenen Schrott und verkauften ihn. Auf diese Weise, haben wir uns ein kleines Taschengeld verdient. Das hat wirklich am meisten Spaß gemacht.
Ich wuchs in einer großen Familie auf und war der sechste und jüngste Sohn. Zum Frühstück gab es zwei Packungen Somen-Nudeln. Sie schwammen in einem Kessel mit Wassersuppe. Es herrschte das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, deswegen saß ich immer direkt neben dem Kessel. Wir hatten auch Spinatdosen, aus den Verpflegungsrationen der US-Armee. Als ich noch sehr klein war, lief in der Nähe des Higashi-Henna-Zaki Kaps ein mit Reis beladenes Schiff auf Grund. Ein Schiff, das zur Bergung auslief kenterte ebenfalls. Reis war damals unbezahlbar und viele Leute zogen los, um den Reis aus dem Schiffswrack zu bergen.
Auf Miyako-jima herrschte damals Wassermangel. Auf den Feldern versuchten wir Regenwasser aufzufangen, aber es gab einfach nicht genug Wasser. Manchmal blieb uns nichts anderes, als das Wasser aus den Rinnen zu schöpfen, welche die Pferdekutschen mit ihren Rädern hinterlassen hatten. Ich schöpfte es mit beiden Händen und dachte bei mir, dass es besser ist als nicht zu trinken. Ich wurde nicht einmal krank davon. Ich glaube, wir Kinder von damals waren einfach robuster.
Spülwürmer und Entwurmung
Als ich ein Kind war, schlachtete jeder Haushalt zu besonderen Anlässen, wie Neujahr oder Geburtstage, ein Schwein im Hinterhof. Wenn wir die Schweine zerlegten, fanden wir winzige weiße Eier im Fleisch. Das waren die Eier von Spulwürmern. Wir glaubten damals, dass die Würmer absterben würden, und haben das Fleisch trotzdem gegessen. Leute von der Amerikanischen Zivilregierung zeigten im Ryukyu-American Kulturzentrum von Miyako einen Film, der über die Gefahren von Spulwürmern informierte. Eines Tages, auf dem Heimweg vom Meer, ich rannte gerade, um mich zu trocknen. gingen wir am Utaki (heilige Stätte) vorbei. Üblicherweise versammelten sich hier immer die alten Frauen zum Gebet. Mein Freund nahm ein heruntergefallenes Räucherstäbchen und tat so als ob er Rauchen würde. Plötzlich kroch ihm ein Spülwurm aus der Nase. Darüber habe ich mich riesig erschrocken. Um die Würmer in unserem Körper abzutöten, wurde in den Schulen Seetang benutzt. Ich erinnere mich nicht mehr an den Namen, Wir mussten eine Brühe aus den Algen trinken. Mit diesem Getränk aus Algen wurden wir entwurmt. Als Belohnung erhielten wir Sakuma Drops, die waren sehr lecker. Es war das erste Mal, das ich so etwas wie einen Bonbon lutschte. Wir bekamen die süßen Drops, weil der Algentrunk so bitter war.
Schulleben in jenen Tagen
Meine Schule war eine Hütte mit Strohdach, keinen Fussboden nur blanker Boden. Liefen wir auf dem Boden, wirbelte der Staub auf. Nur niedrige Wände trennten die Klassen voneinander. Wir waren drei Klassen in der Schule. Manchmal spielten wir auf dem Müllplatz und klaubten Papierschnipsel auf, wickelten den Dreck und die Erde vom Boden hinein, warfen sie in die Nachbarklassen und lieferten uns eine Papierschnitzelschlacht. Als Resultat waren unsere Tische und Stühle mit Müll und Sand bedeckt. So was haben wir sehr oft gemacht.
Während meiner Grundschulzeit befiel ein Virus die Zuckerrohrfelder und Gemüsefarmen. Auch die Schulen beteiligten sich an der Bekämpfung. Unsere Lehrer nahmen uns mit auf die Felder und wir kratzten den weißen Belag von den Blättern oder schnitten sie ganz ab.
Nach der Grundschule besuchte ich die Hirara Junior High School. Ich erinnere mich nicht mehr, ob es ursprünglich ein stabiles Gebäude gewesen war, aber das Schulgebäude war durch einen Taifun stark beschädigt worden. Wir wurden in zwei Gruppen aufgeteilt und hatten Vormittags- und Nachmittagsunterricht. Das dauerte an, bis das neue Schulgebäude endlich fertiggestellt war.
Ich ging danach auf eine Oberschule für Land- und Forstwirtschaft. Ich habe aber keine Ahnung von der Landwirtschaft. Wir machten unseren Kompost selber in der Schule. Der Schulgarten selbst befand sich in der Nähe der Schule, aber die Schulfarm Nr.2 war in der Nähe des Flughafens. Dorthin brachten wir den Kompost. Es war eine große Farm von etwa 18 Hektar. Wir bauten hauptsächlich Zuckerrohr an.Während der Erntezeit ging ich ohne Lunchpaket dorthin und aß das Zuckerrohr, das wir ernteten.
Arbeit für eine Hafen Company nach der Oberschule.
Nach meinem Abschluss lebte ich ein Jahr lang in der Nähe meines Heimatortes, aber so konnte es nicht ewig weitergehen. Ich überlegte mir einen Beruf zu erlernen, der mich weiterbringen würde. Wir waren immer noch unter amerikanischer Besatzung und ich wollte einen Beruf machen, bei dem man eine englische Schreibmaschine benutzt. Zu dieser Zeit bot der Hinterbliebenen Verband Okinawas in Naha Schreibmaschinen Kurse an und unterrichtete in einer Art Lernzentrum. Jeder, der einen Angehörigen im Krieg verloren hatte, konnte daran teilnehmen. Ich bat meinen Vater um Erlaubnis und ging nach Nahe um Schreibmaschine zu lernen. Das Schreibmaschine schreiben war sehr nützlich für meinen späteren Berufsweg.
Ich fing bei einer Firma im Hafen von Naha an zu arbeiten. Alle notwendigen Unterlagen, Zollerklärungen und ähnliches mussten in englischer Ausfertigung vorgelegt werden. Waren die nach Japan gingen, wurden wie ausländische Fracht behandelt und brauchten eine Zollerklärung. Dazu musste ein Schiffsladeschein für die Bank ausfertigt werden. Für diese Papiere erwiesen sich meine Schreibmaschinenkenntnisse als sehr nützlich. Egal wie klein eine Fracht war, alle Schiffe, die zum Festland fuhren, mussten sich beim Zoll eine Genehmigung einholen. Okinawa war von den Zöllen angenommen und es gab Leute, die damit Geld verdienten. Da man damals drei Flaschen Whisky ohne Einfuhrsteuer, von Okinawa aufs Festland mitnehmen durfte, nahmen sie den Whisky mit und verkauften ihn zu einem hohen Preis in Japan. Laut einigen Schiffsbesatzungen, soll es Leute gegeben haben, die mit dem Verkauf von Whisky soviel Geld gespart haben, dass sie sich ein Haus bauen konnten.
Das schwierigste an meiner Arbeit, war das Umladen der Fracht. Es mussten viele Waren von einem Schiff auf ein anders Schiff geladen werden. Wir hatten Schiffe aus Yaeyama oder Miyako, die hochwertigen Leinenstoff geladen hatten Die Ladung musste auf Schiffe nach Osaka umgeladen werden. Manchmal kamen die Zollpapiere nicht rechtzeitig an oder wegen eines Fehlers der zuständigen Person, konnten wir die Ware nicht verladen. Das konnte zu ziemlich großen Problemen führen. Besonders der Leinenstoff aus Miyako, war ein Luxusartikel und kostete 300.000 Yen der Ballen oder 3 Millionen Yen die Kiste. Pannen beim Umladen konnten dazu führen, dass die Fracht bis zu einer Woche liegen blieb. Die Amerikaner fuhren oft nach Taiwan, brachten taiwanische Möbel mit nach Okinawa. Sie kamen zu uns, den Firmen am Hafen wegen der Zollabfertigung. Sie fragten wie man die Sachen durch den Zoll bekommt, aber es war nicht so einfach, weil diese Sachen anders gehandhabt wurden als normale Fracht. Ich gab mein Bestes, um ihre alles in meinen nicht besonders guten Englisch zu erklären.
Meine Botschaft an die jungen Leute
Wir leben heute in einem Zeitalter des Überflusses. Als ich jung war, alles was wir zu essen hatten war Reis und Nudelsuppe. Nudelsuppe heißt auch wirklich nur ein paar Nudel in der Suppe. Ich mache mir Sorgen, ob die Kinder von heute überhaupt überleben könnten, wenn die Versorgung mit Lebensmitteln plötzlich aufhören würde. Ich denke, es ist wichtig, in den Schulen über die Lebensmittelknappheit während und nach dem Krieg zu unterrichten, damit die Kinder lernen, wie wichtig die Lebensmittel sind, die sie haben.
Herr Keikichi Yamazato verbrachte seine Kindheit in Miyako-jima und ging nach Abschluss der Oberschule nach Okinawa. Dort arbeitete er bei einer Reederei im Hafen von Naha. Von der Nachkriegszeit über die US-Besatzung bis zu seiner Pension arbeite er viele Jahre bei der Logistik des Schifftransportes.