Ich werde eine Schneiderin, mein Leben nach dem Krieg
Frau Tomiko Nakamura
Geburtsjahr:1934
Geburtsort:Haebaru
Als ich ein kleines Mädchen war
Mein Vater war Landwirt und meine Mutter webte Textilien. Ich half meiner Mutter dabei. Wenn ich helfen sage, dann meine ich einfache Sachen, die auch schon ein Kind machen kann, wie z.B. Faden aufwickeln. Meine Großmutter lief mit den Stoffen bis nach Tomari in Naha, um sie zu verkaufen. Vor dem Krieg verdienten die meisten Leute in Kyan, Haebaru ihren Lebensunterhalt mit Weben.
Evakuierung nach Kochiya in Nord-Okinawa
Während der Schlacht um Okinawa flüchteten wir nach Kochiya, jetzt Matsuda in Ginoza. Wir wurden mit den anderen Leuten aus unserem Dorf evakuiert. Wir stiegen auf einen großen Lastwagen und fuhren dort hin. An unserem Evakuierungsort führten wir unser Leben eigentlich so weiter wie bisher. Weil mein Vater der Dorfvorsteher von Kyan war, wurden wir beim Dorfvorsteher von Kochiya untergebracht. Die Familie hatte viele Felder, sodass wir viel zu essen bekamen und gut versorgt wurden. Der Dorfvorsteher von Kochiya war während der Schlacht um Okinawa in die Berge geflohen und dort gestorben. Die Leute sagten, er trug damals einen Kimono, den meine Mutter gewebt hatte.
Heimkehr nach dem Krieg
Mein Vater wurde gefangen genommen und in das Kriegsgefangenenlager Yaka gebracht. Danach wurde er in eine Internierungslager nach Hawaii verlegt. Nach dem Ende des Krieges zogen wir von Kochiya nach Funakoshi, Tamagusuku und weiter nach Ufugusuku in Ozato. Danach kehrten wir in unser Zuhause in Haebaru zurück. Wir zogen mit zwei Familien aus unserem Heimatdorf Kyan zusammen umher. Von unserem Haus in Haebaru war nichts mehr übrig. Es war während des Krieges niedergebrannt.
Wir bauten zuerst ein Haus mit Strohdach, dann ein Haus mit einem normalen Dach und richteten uns wieder in Haebaru ein. Eine meiner Großmütter starb im Krieg. Wie begruben sie an der Stelle wo sie gestorben war, zusammen mit einer Flasche auf die wir ihren Namen geschrieben hatten. Als wir sie später abholen wollten, war die Flasche und ihre Gebeine verschwunden.Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wo ihre Überreste verblieben sind.
Leben in Kyan und der Wiederaufbau
Ich habe viel im Haus mitgeholfen, meistens bei der Zubereitung von Mahlzeiten, wie Süßkartoffeln dämpfen und Suppe kochen. Unzählige Male ging ich in die Berge, um Brennholz zu holen. Auf den Feldern gab es viele Süßkartoffelstängel, die trocknete ich und benutzte sie für das Kochfeuer. Wir hatten keine Töpfe um Tempura zu frittieren. Wir benutzten amerikanische Stahlhelme stattdessen, in denen wir unser Tempura frittierten und aßen. Wir machten Tempura aus Süßkartoffeln. Das Öl war aromatisch und das Tempura köstlich. Denkt man heute darüber, haben wir wirklich unvorstellbares gemacht. Wir haben das Tempura tatsächlich mit Motorenöl frittiert.
Schulleben
Direkt nach dem Krieg ging die Grundschule nicht bis zur sechsten Klasse, sondern bis zur achten Klasse. Das System wurde geändert, als ich in die achte Klasse kommen sollte. Aus den Achtklässlern der Grundschule wurden die Erstklässler der Junior High School. Damals konnte man die Schule abschliessen, auch wenn man nicht wirklich lernte. Es gab zwar auch Hausaufgaben, aber wenn man ein wenig übte, konnte die jeder einfach erledigen. Ich lernte viel, weil ich es mir Spaß machte und ich vertrat unsere Klasse bei der Abschlussfeier der Junior High School. Mein Preis war ein Paar Schuhe aus amerikanischer Produktion, aber sie waren zu groß um sie zu tragen.
Auf der Schneiderschule
Nach dem Abschluss der Junior Highschool ging ich auf eine Schneiderschule. Ich liebte das Kleider machen und eine Freundin fragte mich, ob ich mit ihr zur Schneiderschule gehen wolle, und wir besuchten sie zusammen. Die Schneiderschule befand sich in Kokuba, Naha. Ich hatte damals keine Schuhe, also machte mir mein Bruder ein Paar Geta-Sandalen aus Holz. Mit diesen Geta in der Hand lief ich barfuß von Tsukazan in Haebaru los. Kurz bevor ich in Kokuba ankam, wusch ich mir die Füße, zog die Geta an und ging zur Schule. Manchmal wurden die Geta schmutzig und ich hielt das für unnötig, deshalb lief ich selbst an sonnigen Tagen barfuß bis zur Schule.
In der Schneiderschule lernte ich unter anderem, wie man Schnittmuster anfertigt. Während meiner Schulzeit dort, hörte ich, dass sich Hosen gut verkaufen würden und überlegte mir welche zu nähen. Ich hatte aber an der Schule noch nicht gelernt wie man Hosen näht, deshalb zerlegte ich die Hosen meines Vaters als Muster und begann selber Hosen zu nähen.
Schneidern als Beruf
Jeder in meinem Alter in Kyan nähte zu dieser Zeit Hosen, weil gesagt wurde, dass sich von der Stange weg verkaufen würden. Ich kaufte eine Nähmaschine, nähte Hosen damit und verkaufte sie in Naha. Als Stoff benutzte ich Weizenmehlsäcke.Ich kaufte die Säcke und lies sie in einer Färberei einfärben. Dann nähte ich daraus Hosen und verkaufte sie. So sah mein Leben aus. Ich färbte die Hosen so gut wie immer marineblau. Ich nähte zwei oder drei Paar Hosen pro Tag. Jeder in Kyan kaufte eine Nähmaschine, als sie hörten, dass das Hosen nähen dadurch profitabler wird. Es soll damals ungefähr 80 Nähmaschinen in Kyan gegeben haben.
Ich kaufte auch eine Nähmaschine, aber weil ich mir eine teure nicht leisten konnte, kaufte ich eine Fukusuke-Nähmaschine. Ich fertigte auch gefütterte Kimono an. Meine Lampen waren immer 22 Uhr nachts an. Danach zündete ich Kerzen an, wenn ich die Nähmaschine benutzte und arbeitete weiter bis Mitternacht. Mit dem Geld, das ich durch den Verkauf von Hosen verdiente, kaufte ich mir wieder neuen Stoff, um neue Hosen zu nähen. So sahen mein Tage damals aus.
Ein Blick ins Alltagsleben.
Zu besonderen Anlässen besuchte ich das Theater und anderen Aufführungen. Mit Freunden ging ich regelmäßig ins Kino und sah mir Filme wie „Kimi-no-na“ oder „Shiroi-Kyoto“ an. Im Nachbardorf Ozato gab es eine Theaterbühne. Dort sah ich mir Stücke mit den Schauspielern Kotaro Ogimi und Rokuro Takayasu an. Ich habe mit 20 Jahren geheiratet und hatte vier Kinder. Mein Mann war zwei Jahre älter als ich. Er war Landwirt und baute Süßkartoffeln und Zuckerrohr an. Er besaß kein eigenes Land und pachtete sich Felder, die er bestellte. Sein älterer Bruder lebte im Haus nebenan. Es gab damals überall brachliegende Felder, auch das Land meines Onkels, der nach Hawaii gezogen war. Eine meiner Tanten meinte, wir sollen uns seine Einwilligung einholen und uns ein Haus auf dem Land bauen. Als ich einen Brief an meinen Onkel in Hawaii schrieb, erhielt ich zur Antwort, dass wir das Land nehmen sollten und er es uns überlässt.
Als ich etwa 40 Jahre alt war, begann ich ernsthaft damit, das Weben zu erlernen. Ich besuchte einem Ort, an dem traditionelles Handwerk gelehrt wurde Ich lernte nicht nur dort, sondern auch bei den Webern aus unserer Gegend. Vor allen diese lokalen Handwerker waren sehr gute Lehrer für mich.
Meine Botschaft an die jungen Leute
Ich möchte, dass wir für immer in einer friedlichen Welt leben können. Wir dürfen keinen weiteren Krieg haben. Es ist zu schrecklich.
Frau Tomiko Nakamura hat ihr Leben dem Weben gewidmet. 1997 wurde sie als traditionelle Kunsthandwerkerin für Ryukyu-Kazuri Textilien anerkannt. Seit ihrer Ernennung engagiert sie sich in der Unterrichtung der traditionellen Webkünste.
Als ich ein kleines Mädchen war
Mein Vater war Landwirt und meine Mutter webte Textilien. Ich half meiner Mutter dabei. Wenn ich helfen sage, dann meine ich einfache Sachen, die auch schon ein Kind machen kann, wie z.B. Faden aufwickeln. Meine Großmutter lief mit den Stoffen bis nach Tomari in Naha, um sie zu verkaufen. Vor dem Krieg verdienten die meisten Leute in Kyan, Haebaru ihren Lebensunterhalt mit Weben.
Evakuierung nach Kochiya in Nord-Okinawa
Während der Schlacht um Okinawa flüchteten wir nach Kochiya, jetzt Matsuda in Ginoza. Wir wurden mit den anderen Leuten aus unserem Dorf evakuiert. Wir stiegen auf einen großen Lastwagen und fuhren dort hin. An unserem Evakuierungsort führten wir unser Leben eigentlich so weiter wie bisher. Weil mein Vater der Dorfvorsteher von Kyan war, wurden wir beim Dorfvorsteher von Kochiya untergebracht. Die Familie hatte viele Felder, sodass wir viel zu essen bekamen und gut versorgt wurden. Der Dorfvorsteher von Kochiya war während der Schlacht um Okinawa in die Berge geflohen und dort gestorben. Die Leute sagten, er trug damals einen Kimono, den meine Mutter gewebt hatte.
Heimkehr nach dem Krieg
Mein Vater wurde gefangen genommen und in das Kriegsgefangenenlager Yaka gebracht. Danach wurde er in eine Internierungslager nach Hawaii verlegt. Nach dem Ende des Krieges zogen wir von Kochiya nach Funakoshi, Tamagusuku und weiter nach Ufugusuku in Ozato. Danach kehrten wir in unser Zuhause in Haebaru zurück. Wir zogen mit zwei Familien aus unserem Heimatdorf Kyan zusammen umher. Von unserem Haus in Haebaru war nichts mehr übrig. Es war während des Krieges niedergebrannt.
Wir bauten zuerst ein Haus mit Strohdach, dann ein Haus mit einem normalen Dach und richteten uns wieder in Haebaru ein. Eine meiner Großmütter starb im Krieg. Wie begruben sie an der Stelle wo sie gestorben war, zusammen mit einer Flasche auf die wir ihren Namen geschrieben hatten. Als wir sie später abholen wollten, war die Flasche und ihre Gebeine verschwunden.Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wo ihre Überreste verblieben sind.
Leben in Kyan und der Wiederaufbau
Ich habe viel im Haus mitgeholfen, meistens bei der Zubereitung von Mahlzeiten, wie Süßkartoffeln dämpfen und Suppe kochen. Unzählige Male ging ich in die Berge, um Brennholz zu holen. Auf den Feldern gab es viele Süßkartoffelstängel, die trocknete ich und benutzte sie für das Kochfeuer. Wir hatten keine Töpfe um Tempura zu frittieren. Wir benutzten amerikanische Stahlhelme stattdessen, in denen wir unser Tempura frittierten und aßen. Wir machten Tempura aus Süßkartoffeln. Das Öl war aromatisch und das Tempura köstlich. Denkt man heute darüber, haben wir wirklich unvorstellbares gemacht. Wir haben das Tempura tatsächlich mit Motorenöl frittiert.
Schulleben
Direkt nach dem Krieg ging die Grundschule nicht bis zur sechsten Klasse, sondern bis zur achten Klasse. Das System wurde geändert, als ich in die achte Klasse kommen sollte. Aus den Achtklässlern der Grundschule wurden die Erstklässler der Junior High School. Damals konnte man die Schule abschliessen, auch wenn man nicht wirklich lernte. Es gab zwar auch Hausaufgaben, aber wenn man ein wenig übte, konnte die jeder einfach erledigen. Ich lernte viel, weil ich es mir Spaß machte und ich vertrat unsere Klasse bei der Abschlussfeier der Junior High School. Mein Preis war ein Paar Schuhe aus amerikanischer Produktion, aber sie waren zu groß um sie zu tragen.
Auf der Schneiderschule
Nach dem Abschluss der Junior Highschool ging ich auf eine Schneiderschule. Ich liebte das Kleider machen und eine Freundin fragte mich, ob ich mit ihr zur Schneiderschule gehen wolle, und wir besuchten sie zusammen. Die Schneiderschule befand sich in Kokuba, Naha. Ich hatte damals keine Schuhe, also machte mir mein Bruder ein Paar Geta-Sandalen aus Holz. Mit diesen Geta in der Hand lief ich barfuß von Tsukazan in Haebaru los. Kurz bevor ich in Kokuba ankam, wusch ich mir die Füße, zog die Geta an und ging zur Schule. Manchmal wurden die Geta schmutzig und ich hielt das für unnötig, deshalb lief ich selbst an sonnigen Tagen barfuß bis zur Schule.
In der Schneiderschule lernte ich unter anderem, wie man Schnittmuster anfertigt. Während meiner Schulzeit dort, hörte ich, dass sich Hosen gut verkaufen würden und überlegte mir welche zu nähen. Ich hatte aber an der Schule noch nicht gelernt wie man Hosen näht, deshalb zerlegte ich die Hosen meines Vaters als Muster und begann selber Hosen zu nähen.
Schneidern als Beruf
Jeder in meinem Alter in Kyan nähte zu dieser Zeit Hosen, weil gesagt wurde, dass sich von der Stange weg verkaufen würden. Ich kaufte eine Nähmaschine, nähte Hosen damit und verkaufte sie in Naha. Als Stoff benutzte ich Weizenmehlsäcke.Ich kaufte die Säcke und lies sie in einer Färberei einfärben. Dann nähte ich daraus Hosen und verkaufte sie. So sah mein Leben aus. Ich färbte die Hosen so gut wie immer marineblau. Ich nähte zwei oder drei Paar Hosen pro Tag. Jeder in Kyan kaufte eine Nähmaschine, als sie hörten, dass das Hosen nähen dadurch profitabler wird. Es soll damals ungefähr 80 Nähmaschinen in Kyan gegeben haben.
Ich kaufte auch eine Nähmaschine, aber weil ich mir eine teure nicht leisten konnte, kaufte ich eine Fukusuke-Nähmaschine. Ich fertigte auch gefütterte Kimono an. Meine Lampen waren immer 22 Uhr nachts an. Danach zündete ich Kerzen an, wenn ich die Nähmaschine benutzte und arbeitete weiter bis Mitternacht. Mit dem Geld, das ich durch den Verkauf von Hosen verdiente, kaufte ich mir wieder neuen Stoff, um neue Hosen zu nähen. So sahen mein Tage damals aus.
Ein Blick ins Alltagsleben.
Zu besonderen Anlässen besuchte ich das Theater und anderen Aufführungen. Mit Freunden ging ich regelmäßig ins Kino und sah mir Filme wie „Kimi-no-na“ oder „Shiroi-Kyoto“ an. Im Nachbardorf Ozato gab es eine Theaterbühne. Dort sah ich mir Stücke mit den Schauspielern Kotaro Ogimi und Rokuro Takayasu an. Ich habe mit 20 Jahren geheiratet und hatte vier Kinder. Mein Mann war zwei Jahre älter als ich. Er war Landwirt und baute Süßkartoffeln und Zuckerrohr an. Er besaß kein eigenes Land und pachtete sich Felder, die er bestellte. Sein älterer Bruder lebte im Haus nebenan. Es gab damals überall brachliegende Felder, auch das Land meines Onkels, der nach Hawaii gezogen war. Eine meiner Tanten meinte, wir sollen uns seine Einwilligung einholen und uns ein Haus auf dem Land bauen. Als ich einen Brief an meinen Onkel in Hawaii schrieb, erhielt ich zur Antwort, dass wir das Land nehmen sollten und er es uns überlässt.
Als ich etwa 40 Jahre alt war, begann ich ernsthaft damit, das Weben zu erlernen. Ich besuchte einem Ort, an dem traditionelles Handwerk gelehrt wurde Ich lernte nicht nur dort, sondern auch bei den Webern aus unserer Gegend. Vor allen diese lokalen Handwerker waren sehr gute Lehrer für mich.
Meine Botschaft an die jungen Leute
Ich möchte, dass wir für immer in einer friedlichen Welt leben können. Wir dürfen keinen weiteren Krieg haben. Es ist zu schrecklich.
Frau Tomiko Nakamura hat ihr Leben dem Weben gewidmet. 1997 wurde sie als traditionelle Kunsthandwerkerin für Ryukyu-Kazuri Textilien anerkannt. Seit ihrer Ernennung engagiert sie sich in der Unterrichtung der traditionellen Webkünste.