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Jugendlicher flüchtet vor Militärstaat in den Süden, wird festgenommen und landet im Lager

“Jugendlicher flüchtet vor Militärstaat in den Süden, wird festgenommen und landet im Lager“
Yoshio Yamada (86)
(Geburtsort: Naha-Shuri, Okinawa)

Ich war ein typischer Jugendlicher im militaristischen Japan damals. Daher haben wir in der Schule auch nichts anderes gelernt, als dass „Japan auf jeden Fall gewinnen und niemals verlieren wird“. Zu der Zeit war es noch nicht mal vorstellbar, dass Japan den Krieg verlieren könnte.
In der fünften Klasse, mit etwa 11 Jahren, haben wir dann auch ein Training im Umgang mit der Bambuslanze bekommen. Am Schultor draußen wurden Strohpuppen aufgestellt und wenn man morgens zur Schule kam, musste man diese Strohpuppen zuerst niederstrecken, bevor man ins Klassenzimmer vor durfte. Das war typisch für den Schulalltag damals.

Die fünften und sechsten Klassen haben einen Ausflug in eine Pilotenschule unternommen. Als ich dort war, fand es so wahnsinnig toll, dass ich danach davon geträumt habe, eines Tages selber Pilot zu sein. Mein Vater war damals gerade in Taiwan und ich habe ihn gefragt, ob ich in Taiwan an eine Pilotenschule dürfe, aber er hat es mir nicht erlaubt ... ich war sehr enttäuscht. In der Zeit waren viele Jungs wie ich sehr angetan von der Vorstellung, zu fliegen und Soldat zu sein.

Aber wenn ich so zurückblicke, hat das wohl mein Leben gerettet. Zwei aus meiner Schule haben die Aufnahmeprüfung gemacht. Sie fuhren nach der ersten Prüfung mit dem Schiff namens Tsushimamaru nach Okinawa, um die zweite Prüfung abzulegen. Dieses Transportschiff wurde aber auf dem Weg zerstört und die Menschen darauf sind alle gestorben. Ich lebe heute, weil ich damals nicht dabei sein durfte.

Damals hat man bis Juli in der Schule gelernt, aber nach den Sommerferien gab es viel Aushilfsarbeiten, wie etwa Bunker auszuheben. Ab dem Sommer war dann die militärische Strategietruppe in unserem Schulgebäude untergebracht. Die Schule stand übrigens damals dort, wo heute die Oberschule von Shuri ist. Deswegen hatten wir dann keinen Platz zum Unterricht mehr und haben dann jeden Tag woanders mit angepackt. Mal waren wir bei der Flugabwehrstellung in Uema, oder haben am Hafen in Naha Transportgüter sortiert, oder beim Hügel hinter dem Fluss Hantagawa bei Shikina den Bunker für die Strategietruppe ausgehoben, oder auf dem Flugplatz in Oroku ausgeholfen, den es damals noch gab ... jeden Tag war etwas anderes zu tun.

(Ankunft der Amerikaner)
Die Amerikaner sind bei Yomitan an Land gegangen. Es sah aus, als hätte jemand eine Tüte Bonbons über dem Meer verschüttet, so pechschwarz war das Meer, voller Kriegsschiffen und Landungsbooten.
Es sah sehr bedrohlich aus, aber da es noch relativ weit entfernt von uns war, hatten wir keine konkretes Handlungsbedürfnis.

Der jüngere Bruder meiner Pflegemutter hatte im Rathaus von Shuri gearbeitet, und so kam es, dass wir zusammen mit den Mitarbeitern aus dem Rathaus und ihren Familien in eine Höhle geflohen sind. Die Höhle liegt bei Ahagon und heißt Sakitarigama. In dieser von der Natur erschaffenen Höhle steigt immer wieder das Wasser an und fließt wie ein Fluss durch die Höhle, weshalb wir uns zumindest um die Wasserversorgung keine Sorgen zu machen brauchten. Wir hatten Trinkwasser und Wasser zum Waschen. Dafür war es wahnsinnig schwül und so feucht, dass einem schlecht dabei wurde, aber wir hielten uns dennoch dort versteckt.
Mit der Zeit wurde es allerdings auch dort gefährlich, und als große Gruppe wäre das zu riskant gewesen, so dass wir uns entschlossen, getrennt weiterzuziehen. Ich bin mit einigen anderen zur Ortschaft Aragaki gewandert. Im Gegensatz zu den früheren Fluchten waren wir diesmal nicht nachts, sondern tagsüber unterwegs und ich sah daher die Toten auf dem Weg, die z. B. von Dächern erschlagen oder im Bombardement durch die Kriegsschiffe erschossen worden waren. Mir wurde allein bei dem Anblick der wenigen Toten so schlecht, dass ich nicht mehr essen konnte.

Ein bisschen später, gerade als ich daran dachte, mich von den anderen zu trennen, die mit wir geflohen waren, wurden wir konzentriert von Kriegsschiffen bombardiert. Die Hälfte ist dabei ums Leben gekommen.
Ich sah eine ältere Frau, die bis vor kurzem mit mir geflohen war, an eine Steinmauer gelehnt, lächelnd, und rief ihr zu: „Hier ist es zu gefährlich. Fliehen wir zusammen weiter!“ Sie reagierte aber nicht, so dass ich näher an sie herantrat und dann realisierte - sie war bereits tot. Dieser Moment war unfassbar traurig für mich.

Daraufhin, am 22. Juni, wurden wir von den US-Soldaten gefangen genommen. Im Moment, als wir unsere Höhle verlassen hatten, warteten die Soldaten bereits auf uns. An dem Abend gegen 7 oder 8 Uhr hatten wir draußen Gewehrschüsse vernommen. Da uns aber bekannt war, dass die Soldaten die Front von hier in die Mitte der Insel verlegen sollten, gingen wir davon aus, dass nicht mehr viele Soldaten hier seien und wir wollten die Gelegenheit nutzen, um in den Norden abzuhauen. Also verließen wir unsere Höhle.
Aber vor unserer Höhle erwartete uns schon Gewehrfeuer, so dass der Vorderste unserer Gruppe die weiße Fahne hisste. Daraufhin riefen die Amerikaner „kochi-koi, kochi-koi“ und trieben uns zusammen, Männer und Frauen getrennt.

Als wir damals gefangen wurden, dachten wir, dass es jetzt um uns geschehen sei. Wir gingen zuvor immer davon aus, dass das japanische Militär, unsere Truppen, unsere Insel befreien würde – doch wir wurden zu früh gefangen genommen, daher fühlten wir uns wie Volksverräter.
Wir wurden in das Gefangenenlager in Zayasu-Iraha bei Tomigusuku gebracht. Ich erinnere mich noch, wie erleichtert ich war, als wir dort ankamen, weil ich sah, dass noch ganz viele andere auch gefangen genommen wurden, und nicht nur wir.

(Rückblickend auf den Krieg)
Mir fällt rückblickend ganz besonders auf, wie grausam unser militarisierter Unterricht in der Schule war. Über die Bildung wurden viele Realitäten verfremdet dargestellt. Daher finde ich eine Schulbildung für richtig und notwendig, die nicht verfremdet und Kinder auch mal Kinder sein lässt; die nicht zu Krieg führt, sondern gut durchdacht ist.

Ich möchte den Kindern mitgeben, dass die Freiheit, die wir alle nach dem Krieg so stark verspürt haben, letztlich nur zu einem übertriebenen Egoismus geführt hat.
Niemand kümmert sich mehr um die Sorgen und den Schmerz anderer und es werden Menschen getötet und gemobbt, ohne weiter darüber nachzudenken. Denkt an das Sprichwort: „Zwicke dich selbst, um den Schmerz anderer zu spüren“. Wenn wir das befolgen, dann gehören Dinge wie Mobbing irgendwann der Vergangenheit an. Was wir heutzutage benötigen, ist Unterricht in Moral und Ethik.